Makroskopische Reibwertsteuerung mit elektrischen Potenzialen unter Verwendung ionischer Flüssigkeitsgemische
Felix Gatti, Tobias Amann, Andreas Kailer, Peter Rabenecker, Norman Baltes, Benedikt Marx, Jürgen Rühe
Einleitung
Die Optimierung von Reibung und Verschleiß wird derzeit durch die Anpassung von Werkstoffen und Schmierstoffen an die jeweilige Anwendung oder das tribologische System erreicht. Allerdings ist dieser Ansatz immer mit einem Kompromiss verbunden, da die Schmierstoffe nicht an das gesamte Belastungsspektrum einer Anwendung optimal angepasst werden können. Daher gibt es in der Tribologie noch ein enormes Potenzial zur Effizienzsteigerung.[4] Dabei muss beachtet werden, dass in unterschiedlichen technischen Systemen Reibung nicht nur nachteilig, sondern auch vorteilhaft sein kann.[1] Auf der Nanoskala führte die Kombination aus der Verwendung von ILs mit elektrischen Potenzialen zu Superschmierung die mithilfe des elektrischen Signals „eingeschalten“ werden kann.[5] Deshalb wird auch auf der Makroskala auf unterschiedlichster Weise versucht Reibung zu steuern.[6] In dieser Arbeit wird ein Ansatz vorgestellt, wie die Reibungseigenschaften durch die Kombination von ionischen Flüssigkeitsgemischen (ILM) und elektrischen Potenzialen verändert werden können. Durch externe Potenziale werden oberflächennahe Strukturen im Reibkontakt geändert und je nach Potenzial verschiedene Moleküle der ionischen Flüssigkeiten (ILs) auf der Reibfläche angereichert. Dies könnte zur Entwicklung eines programmierbaren Reibungssystems führen, das sich bei wechselnden Belastungen automatisch auf den optimalen Betriebspunkt einstellt.
Methoden und Ergebnisse
Bei dem Versuchsaufbau (Abbildung 1) handelt es sich um eine nach außen isolierte tribologische Zelle, die an einen Potentiostaten angeschlossen ist, um geladene Oberflächen in den Gleitkontakten zwischen der rotierenden Kugel und den drei unteren stationären Stiften (Arbeitselektrode, WE) zu induzieren. Die Kontrollierbarkeit des Reibungskoeffizienten wurde mit einem konstanten Strom nach einer Einlaufphase (300 µA) zwischen WE und Gegenelektrode (CE) untersucht. Dadurch sind die Oberflächen positiv oder negativ geladenen. Als Schmiermittel wurden zwei verschiedene ILs und deren Mischungen verwendet. Die tribologischen Tests wurden mit einer Normalkraft von 50 N (23,6 N pro Stift) einer rotierenden ½-Zoll-Kugel aus 100Cr6-Stahl auf drei Stiften aus 100Cr6-Stahl bei 100 U/min (Geschwindigkeit: 0,05 m/s) und bei Raumtemperatur (25 °C) durchgeführt.
Es wurden zwei im Handel erhältliche ILs mit demselben Phosphonium-kation [P666(14)] verwendet. Bei den Anionen handelt es sich um eine Variante auf Phosphatbasis [DEHP] und um eine Sulfonyl-imidvariante [BTA]. Die Tests wurden mit reinem [P666(14)][DEHP] (D), reinem [P666(14)][BTA] (B) und sieben Mischungen aus beiden ILs in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen durchgeführt. Die Auswahl dieser beiden ILs basierte auf eigenen Vorarbeiten.[7] Bei einem Massenmischungsverhältnis von D:B wie 1:3 konnte mit einem anodischen Potenzial eine Reibwerterhöhung von 45 % im Vergleich zu einer neutralen Oberfläche (Open Circuit Potential, OCP) erreicht werden. Mit einem kathodischen Potential wurde eine Reibwertreduktion von 10 % gegenüber einem elektrisch neutralen Zustand (OCP) bei einem Mischungsverhältnis von D:B wie 1:1 erzielt. Für jedes der Experimente wurde am Ende des Versuchs die Schmierfilmdicke nach Popov berechnet.[8] Abbildung 2 zeigt die errechneten Werte für die durchgeführten Experimente.
Über die Verknüpfung dieses Aufbaus mit einen „Tribo-Controller“ konnte unter Verwendung der Mischung D:B wie 1:3 eine zeitabhängige, autonome und reversible Programmierung des Reibwerts vorgenommen werden. Dabei wurde zwischen zwei voreingestellten Reibwerten (±10%) reversibel hin und her geschalten werden.[2]
Diskussion
Abbildung 2 zeigt die Tendenz, dass die Änderung des Reibwerts (COF) bei anodischen Potenzialen umso größer ist, je kleiner die Schmierfilmdicke ist. Bei kleinen Schmierfilmdicken wirkt sich die gezielte elektrochemische Adsorption der IL-Molekülschichten stärker auf den Reibungskoeffizienten aus als bei geringerem Druck und hoher Schmierfilmdicke. Es wird vermutet, dass sich die oberflächennahe Struktur der ILs durch die externe Aufladung verändert (Abbildung 3).[9] Ohne elektrisches Feld (OCP, Abbildung 3 b) sind die Anionen und Kationen statistisch im Schmierspalt verteilt. Bei einer anodischen Polarisation (Abbildung 3 a) wird eine Erhöhung der Konzentration der kleineren Anionen im oberflächennahen Kontakt induziert. Die Kationen, die ein größeres Volumen als die Anionen haben und über lange Alkylketten mit Schmiereigenschaften verfügen, werden aus dem Schmierspalt verdrängt und die Reibung nimmt zu. Bei entgegengesetzter Polarisierung (Abbildung 3 c) werden die Anionen verdrängt, und Reibung und Verschleiß werden verringert.
Die Annahme dieser Strukturbildung beruht nicht nur auf Berechnungen der Schmierfilmdicke, sondern auch auf der Interpretation anderer Parameter auf unterschiedlicher Größenskala wie dem direkt mit der Schmierfilmdicke korrelierenden Lamda-Parameter oder der Stromdichte. Zusätzlich wurden auf der kleinsten Größenskala auch die chemische Struktur der ILs verändert, um den Einfluss unterschiedlicher funktioneller Gruppe auf die Veränderung des Reibwerts zu beobachten.
Quellenangaben:
[1] Curtis, C. K. et. al. Friction 2020
[2] Gatti, F. et al. Scientific reports 2020, 10, 17634
[3] Urbakh, M. et al. Nature materials 2010, 9, 8–10
[4] Holmberg, K. et al., Tribol. Int. 2019, 5, 389–396
[5] Li, H. et al. Chemical communications 2014, 50, 4368–4370
[6] Krim, J. Frontiers in Mechanical Engineering 2019, 5, 22
[7] Dold, C. et al., Phys. Chem. Chem. Phys. 2015, 17, 10339–10342
[8] Popov, V. L. Kontaktmechanik und Reibung, Springer Verlag 2009
[9] Sweeney, J. et al. Physical review letters 2012 109, 155502
Diese Arbeit entstand im Rahmen des Fraunhofer-Forschungscluster Programmierbare Materialien.