CO2-Reduktion durch Supraschmierung: Designregeln für Schmierstoffe gefunden
Dr. Gianpietro Moras, Prof. Dr. Michael Moseler
Minimierung von Reibung ist eine Grundvoraussetzung für nachhaltige Mobilität. Würde beispielsweise die Reibung in Personenkraftwagen auf superkleine Werte reduziert (Reibungskoeffizient µ < 0,01), könnte der Kraftstoffverbrauch um 61 Prozent und die jährlichen globalen CO2-Emissionen um fast eine Milliarde Tonnen gesenkt werden. Die Beschichtung von tribologischen Oberflächen mit diamantähnlichem Kohlenstoff (DLC) stellt in diesem Zusammenhang eine wichtige Maßnahme zur Reibungsreduktion dar. Insbesondere wasserstofffreier DLC (tetraedrischer amorpher Kohlenstoff, ta-C) hat in der Automobilindustrie große Aufmerksamkeit auf sich gezogen. In Grenzreibungsexperimenten zeigten ta-C-Beschichtungen eine überlegene tribologische Leistungsfähigkeit im Vergleich zu hydriertem DLC (a-C:H). So wurde in Stift-Scheibe-Experimenten von a-C:H/a-C:H-Paarungen, die mit einer Mischung von Polyalphaolefinen und GlycerinMonooleat geschmiert wurden, µ > 0,12 gemessen, während sich bei ta-C / ta-C-Paarungen unter denselben Bedingungen µ = 0,03 ergab. Derartige Grundlagenexperimente haben ein beträchtliches industrielles Interesse an der Schmierung von ta-C-Beschichtungen mit organischen Schmierstoffen hervorgerufen.
Neue Experimente mit ungesättigten Fettsäuren (zum Beispiel Ölsäure) oder polyhydrischen Alkolholen (zum Beispiel Glycerin) zwischen ta-C-Oberflächen weisen den Weg zur Supraschmierung (µ ~ 0,005). Begleitende spektroskopische Charakterisierungen liefern Hinweise auf die Fragmentierung der Schmierstoffmoleküle, die Passivierung von ta-C mit Wasserstoff und Hydroxylgruppen sowie auf die Bildung atomar dünner aromatischer Kohlenstoffstrukturen. Damit werden die beiden ta-C-Reibpartner innert und atomar glatt, was die extreme Reibreduktion erklärt Was fördert die Supraschmierung?
Trotz dieser wichtigen experimentellen Untersuchungen zu den strukturellen Details der Schmiermechanismen bleiben die tribochemischen Prozesse, die der Fragmentierung des Schmiermittels und der Bildung von passivierenden funktionellen Gruppen auf ta-C zugrunde liegen, im Dunkeln. Noch weniger ist darüber bekannt, wie funktionelle Gruppen die Superschmierung fördern. Dieser Mangel an Verständnis macht es derzeit noch unmöglich, geeignete Schmiermittel ohne zahlreiche heuristische Experimente systematisch zu entwickeln.
Im Rahmen des BMWi-Projekts »Pegasus II« galt es, mittels atomistischer Simulation zu klären, wie der optimale Schmierstoff zur Schmierung von ta-C aufgebaut sein muss. Hierzu wurden quantenchemische Molekulardynamiksimulationen von ungesättigten Fettsäuren und Glycerol zwischen zwei ta-C Oberflächen durchgeführt (Abbildung 1 und 2). Es stellte sich heraus, dass sich diese multizentrischen Moleküle (eine COOH Gruppe und eine C=C-Gruppe bei der Ölsäure beziehungsweise 3 Hydroxylgruppen beim Glycerol) über ihre funktionellen Gruppen an beiden Reibpartnern chemisch verankern (Abbildung 1 oben) und dann so während des Gleitens unter Zugspannung gesetzt werden. Diese mechano-chemische Belastungssituation führt zur vollständigen Zerlegung der Moleküle und damit zur Freisetzung passivierender O- und H-Atome. Für Glycerol konnte auf den sehr kurzen Simulationszeitskalen sogar die Bildung aromatischer Terminierungen und Supraschmierung beobachtet werden (Abbildung 2). Dabei wird das Glycerol schon zu Beginn der Simulation vollständig zerlegt, was zu einer anfänglichen Kaltverschweißung der Reibpartner führt (siehe Abbildung 2 oben zum Zeitpunkt 0,2 ns). Kommt es während der mechanischen Durchmischung des durch das Glycerol eingebrachten Sauerstoffs zu dessen räumlicher
Konzentration, so bildet sich ein Scherband aus, das die Aromatisierung der Oberflächen begünstigt (Abbildung 2 oben zum Zeitpunkt 0,5 ns). Der anfänglich hohe Reibwert (Abildung 2 unten links) sinkt infolge der Bildung zweier graphenähnlichen Oberflächenterminierungen stark ab. Analoge Simulationen mit Alkanen oder gesättigten Fettsäuren zeigen diese mechano-chemischen Prozesse nicht, weil in diesen Molekülen nicht genügend funktionelle Ankergruppen zur Verfügung stehen. In diesem Fall lagert der Schmierstoff nur auf eine Oberfläche an und bildet einen molekularen Flaum, der zwar auch Reibung reduziert – allerdings nicht auf Supraschmierniveau.
Chemische und aromatische Oberflächenpassivierung
Diese Simulationen machen deutlich, dass chemische und aromatische Oberflächenpassivierungen für die Superschmierung verantwortlich sind (Abbildung 3). Beide erfordern, dass der Schmierstoff mehrere Reaktivzentren besitzen muss, die dessen mechano-chemische Fragmentierung bewirken. Diese Designregel ist nicht auf Ölsäure und Glycerol beschränkt, sondern sollte auf andere Schmiermittel übertragbar sein, zum Beispiel Glycerol-Monooleat (mit vier reaktiven Zentren: zwei Hydroxyl-, einem Carboxyl- und einer Doppelbindungsgruppe). Daher ermöglichen unsere Ergebnisse nicht nur die Vorhersage der tribologischen Eigenschaften von ta-C, die mit verschiedenen Molekültypen geschmiert werden, sondern liefern auch Richtlinien für das Design neuartiger organischer Reibungsmodifizierer, die die Bildung von supraschmierenden Schichten auf kohlenstoffbasierten Materialien fördern. Die Ergebnisse präsentiert ein Artikel in Nature Communications 10 (2019), DOI 10.1038/s41467-018-08042-8.